Das Kastratentum

Das Kastratentum hat ursprünglich mythische Hintergründe: Der Sieger entmannte den Besiegten, ob dieser nun tot oder lebendig war. Dies stand als Beute und als Symbol der Kraft des Siegers. Es gibt noch weiterer Zusammenhänge mit Religion und Riten und gilt als die Opferung des Kostbarsten, das man hat. In manchen vorderasiatischen Kulturen wurde von Priestern die Selbstkastration gefordert.

Die nichtreligiöse Kastration hat vermutlich ihren Ursprung in Libyen und breitete sich über Ägypten und den Orient aus. In Griechenland und Ägypten galten Eunuchen als Ware. Sie unterlagen im römischen Reich einem Einfuhrzoll, wie alle anderen orientalischen Luxus“artikel“.

Die erste Kastration zu Gesangszwecken wurde vermutlich im 3. Jahrhundert nach Christus vorgenommen. Da Frauen in der Kirche nicht singen durften und wegen der Mutation der Knaben der Mangel an Sängerknaben groß war (Orlando di Lasso soll als Sängerknabe wegen seiner Stimme dreimal entführt worden sein) wurden diese durch Falsettisten ersetzt. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts verschwanden jedoch die Falsettisten in Italien. Viele stimmbegabte Knaben wurden nun wegen der Beliebtheit der Kastratenstimme operiert.

Duch die Kastration kann der Kehlkopf als sekundäres Geschlechtsmerkmal nicht mehr so stark wachsen, die Lunge und die Resonanzverhältnisse entwickeln sich jedoch weiter – dadurch war die Stimme deutlich starker als die von Frauen und Knaben (von zeitgenössischen Kritikern heißt es, sie sei mit drei bis fünf Knabenstimmen vergleichbar gewesen). Mit der Lungenkraft eines erwachsenen und dem Kehlkopf eines Kindes konnte der Sänger lange musikalische Phrasen auf einem Atem singen bei denen eine Tonhaltedauer von 60 Sekunden nichts ungewöhnliches war).
Man nahm an, dass die Stimme je höher blieb, desto früher die Operation stattgefunden hatte. Farinelli wurde beispielsweise bereits als Siebenjähriger kastriert.

Gegen das bald erlassene gesetzliche Verbot wurden häufig abenteuerliche Märchen erfunden. Farinelli sollte sich demnach beim Sprung vom Pferd so schwer verletzt haben, dass eine Kastration notwendig gewesen sei. Farinelli wurde wegen seines großen Tonumfanges (a – d3) gefeiert und verehrt. Er wurde von vielen Königshäusern eingeladen und dort umjubelt. Bei einem Wettstreit mit einem Trompeter musste der Instrumentalist aufgeben, weil er keinen Atem mehr hatte... Die Kastraten können also guten Gewissens als die Primadonnen ihrer Zeit bezeichnet werden. Man bedenke außerdem, dass hohe Männerstimmen in der Popmusik auch heute noch die Zuhörer faszinieren (Bee Gees, Modern Talking).

Delbrasse schrieb über die Stimme der Kastraten: „An ihre Stimmen muss man sich erst gewöhnen, sie haben ein Timbre, wie das der Chorknaben, nur viel lauter, sie haben dabei immer etwas Hartes, Trockenes an sich.“ Außerdem lobte er den Stimmumfang der Kastraten.

Gegener des Kastratentums waren Christian Friedrich Daniel Schubart („Gott und seine herrlich eingerichtete Natur hassen alle Verstümmelungen!“) und Peter Lichenthal („Die Discantstimme der Kastraten schmeichelt nur die ersten Male dem Ohr.“). Grillparzer und Mendelssohn Bartholdy lehnen den Kastratengesang ab, nachdem sie Veluti gehört haben. Napoleon ordnet sogar die Todesstrafe für Kastrationen an.

Der Glanz der Kastraten verblasst mit Glucks Opernreform, auch Rossini wendet sich in Italien vom Kastratentum ab. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts werden sie weniger beachtet und stoßen im 19. Jahrhundert sogar auf Ablehnung.



Die Italienische Gesangsschulung der Kastraten:

Vormittags: Nachmittags:



Die einigen Ferien gab es im Herbst. Lehrer und Schüler lebten zusammen, wodurch eine umfassende und individuelle Ausbildung möglich war.




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